Schweizer MINT-Förderung stösst an Grenzen: Es braucht einen systemischen Ansatz

Die MINT-Förderung in der Schweiz kann ihre volle Wirkung nur dann entfalten, wenn sie strategischer und breiter angegangen und von Fortschritten in der Chancengleichheit der Geschlechter begleitet wird. Dies zeigt eine neue Studie der Akademien der Wissenschaft Schweiz im Auftrag des Parlamentes, die unter der Leitung der SATW durchgeführt wurde. Ein solcher Ansatz verspricht nicht nur mehr Fachkräfte, sondern bringt auch Vorteile in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Abstrakte Silhouetten auf grünem Hintergrund

Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick 

Einzelne Förderprogramme reichen nicht aus – es braucht systemische Veränderungen von der Bildung bis zur Arbeitswelt. Zu den zentralen Handlungsempfehlungen gehören: 

  1. Nationaler Handlungsrahmen: Eine nationale Strategie sowie ein nationales Kompetenzzentrum sollen Synergien schaffen, MINT-Akteur:innen koordinieren und die Qualität der Massnahmen sichern. 
  2. Wissenschaftsinteresse stärken: Mehr Veranstaltungen, niedrigschwellige ausserschulische Angebote und gezielte digitale Kommunikation sollen das Interesse an MINT fördern und das Vertrauen in die Wissenschaft stärken. 
  3. Schule als Schlüsselakteurin: Gendergerechtes Unterrichtsmaterial, gezielte Lehrpersonenweiterbildung und Kompetenzen in der Gleichstellungspädagogik sind essenziell für eine wirksame MINT-Förderung. 
  4. Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbinden: Unternehmen und Zivilgesellschaft müssen stärker vernetzt werden, gezielt in MINT-Angebote investieren und Diversität aktiv fördern. 
Portrait Isabelle Metzger von der Universität Basel

«Bessere Koordination und strategischer Aufbau der MINT-Förderung sind Hebel dafür, bestehende Massnahmen zu optimieren. Sie sorgen dabei gleichzeitig auch für eine grösstmögliche Breitenwirkung.»

Susanne Metzger, Universität Basel

«Noch wenig genutzte Ansätze wie Gender Budgeting, nach dem Fördermittel und -initiativen auch Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigen, könnten ebenfalls dafür sorgen, dass sich der Frauen- und Mädchenanteil in MINT-Berufen steigert.»

Isabelle Collet, Universität Genf

Warum Mädchen- und Frauenförderprogramme im MINT-Bereich nicht ausreichen:

  • Fehlende strukturelle Reformen schwächen Empowerment-Programme.
    Mentoring, Safe Spaces und weibliche Vorbilder fördern Selbstvertrauen, entfalten jedoch ihre volle Wirkung nur, wenn sie mit tiefgreifenden strukturellen Veränderungen auf Organisationsebene kombiniert werden.
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt eine zentrale Hürde.
    Ohne bezahlbare Kinderbetreuung, flexible Elternzeitmodelle und moderne Arbeitsformen (zum Beispiel mobiles Arbeiten, Vertrauensarbeitszeit) bleibt Chancengleichheit für Frauen im MINT-Beruf unerreichbar.
  • Frauen sind in MINT-Studiengänge und Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert.
    Verbindliche Geschlechterquoten – wie das Beispiel der Norwegian University of Science and Technology zeigt – können den Frauenanteil in MINT-Studiengängen und Entscheidungsgremien nachhaltig erhöhen.
  • Ungleichverteilung öffentlicher Mittel zementiert bestehende Ungleichheiten.
    Gender Budgeting ermöglicht eine geschlechtergerechte Mittelverteilung, wird jedoch in vielen Bereichen – trotz seiner Wirksamkeit – politisch noch blockiert, zum Beispiel vom Bundesrat.
  • Sexualisierte Gewalt ist ein unterschätztes Karriererisiko.
    Nur durch verpflichtende Schulungen, unabhängige Anlaufstellen und Sensibilisierungskampagnen kann effektiver Schutz für Mädchen und Frauen im Bildungs- und Berufsleben gewährleistet werden.
  • Strukturelle Barrieren führen zu unbewusster Selbstselektion.
    Viele Mädchen und Frauen ziehen sich frühzeitig aus dem MINT-Bereich zurück – nicht aus Desinteresse, sondern aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen. Es braucht eine gezielte Analyse und den Abbau solcher Barrieren durch faire Auswahlverfahren, transparente Karrierewege und inklusive Lernumgebungen. Massnahmen wie geschlechtersensible Berufsberatung, die Schulung von Lehrkräften und der Einsatz genderneutraler Lehrmaterialien sind notwendig, um bestehende Rollenbilder aufzubrechen.

Publikation

Hintergrund zur Studie

Die Studie entstand im Auftrag der SBFI im Rahmen des Postulats 22.3878 «Bericht und Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen» und wurde im Zeitraum zwischen Januar und Oktober 2024 verfasst. Die Methodik der Studie beinhaltet Literaturanalysen, Analysen der Statistik sowie Fokusgruppen mit Akteur:innen aus Bildung, Politik und Wirtschaft. Das Ziel der Studie bestand darin,  wirkungsvolle Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik und MINT-Akteur:innen zu formulieren.

Silhouetten mit wissenschaftlichen Symbolen auf grünem Hintergrund

Fragen zur Publikation?

 Edith Schnapper

Edith Schnapper

Leiterin Nachwuchsförderung

Projektleiterin

Edith Schnapper (SATW)

Autor:innen

Isabelle Collet (Universität Genf), Susanne Metzger (Universität Basel, PH FHNW), Lora Naef (Universität Genf), Theres Paulsen (SCNAT, a+), Edith Schnapper (SATW), Stefan Vonschallen (PH FHNW)

Beitragsreihe zur Publikation

Die Beitragsreihe zur Publikation beleuchtet das komplexe Thema MINT-Förderung aus verschiedenen Perspektiven:

 
 Bunte MacBooks in einem Universitätskurs

Systemischer Ansatz für nachhaltige Veränderungen im MINT-Bereich

Studien und Publikationen Technik-Bildung
 

Die vielfältige Rolle der Kantone bei der inklusiven MINT-Förderung

Studien und Publikationen Technik-Bildung

FAQs zur Studie:

Diese FAQs bieten einen kompakten Überblick über zentrale Themen und Fakten aus dem Originaltext. Sie hilft dabei, wichtige Inhalte verständlich zusammenzufassen, zentrale Aussagen zu klären und häufig gestellte Fragen gezielt zu beantworten.

Soziale Normen, Geschlechterstereotype und fehlende weibliche Vorbilder führen dazu, dass Mädchen sich oft weniger mit MINT identifizieren und ihre Fähigkeiten unterschätzen.

Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien, die Haltung von Lehrpersonen und die Schulorganisation beeinflussen massgeblich, ob Kinder – insbesondere Mädchen – Interesse an MINT entwickeln.

Bildungsentscheidungen werden stark durch gesellschaftliche Erwartungen geprägt. Jungen tendieren zu technischen und produktionsnahen Berufen, Mädchen zu sozialen und dienstleistungsorientierten Feldern.

Ein geringeres Selbstvertrauen, stereotype Vorstellungen über technische Berufe, Sexismus im Ausbildungs- und Berufsalltag sowie schlechtere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirken abschreckend.

Wirksam sind u. a. frühzeitige Förderung, gezielte Mädchenprogramme, Mentoring, Quoten, gendersensibler Unterricht, Vorbilder sowie die Veränderung institutioneller Rahmenbedingungen.

Durch praxisnahen Unterricht, spielerisches Lernen, experimentelle Formate, Bezug zur Lebenswelt und die Vermittlung von Sinn und gesellschaftlicher Relevanz technischer Berufe.

Notwendig sind vielfältige Zugänge zu Inhalten, barrierefreie Angebote, gendersensible Sprache und Didaktik sowie gezielte Ansprache unterrepräsentierter Gruppen.

Kinder aus bildungsfernen oder sozioökonomisch benachteiligten Familien haben geringere Chancen auf MINT-Bildung – etwa durch fehlendes Vorwissen, Sprachbarrieren oder begrenzten Zugang zu Förderprogrammen.

Es gibt ein deutliches Ungleichgewicht zwischen offenen Stellen und verfügbaren Fachkräften, besonders in Informatik, Technik und Ingenieurwesen – vor allem auf Fachhochschul- und Berufsbildungsebene.

Nötig sind eine koordinierte MINT-Strategie, strukturelle Gleichstellungsmassnahmen, Förderung von Vereinbarkeit, gezielte Investitionen in die Aus- und Weiterbildung sowie bessere Sichtbarkeit von MINT-Beiträgen in der Gesellschaft.