Wie Technologie die Lebensqualität von Menschen mit Hörschäden erhöht

Hörschäden beeinträchtigen das Leben von Menschen massiv. Daniel Bodmer weiss dies aus Erfahrung – er ist Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Universitätsspitals Basel. Er erforscht zudem, wie Hörschädigungen durch Medikamente künftig verhindert werden können. In einem persönlichen Gespräch mit der SATW gibt er sich hoffnungsvoll, dass Technologien die Lebensqualität von Betroffenen bald noch gezielter erhöhen wird.

Abstraktes Ohr mit leuchtenden Linien und Spirale

 

Das Ohr umfasst das Aussen-, Mittel- und Innenohr. Im Innenohr befindet sich die mit Flüssigkeit gefüllte Hörschnecke, die Cochlea, mit den wichtigen Haarsinneszellen. Diese sind die Rezeptoren des Innenohrs, die die Verbindung via Hörnerv zum Gehirn sicherstellen. Ein Mensch hat über 15'000 Haarsinneszellen in einem Ohr. Sterben diese ab, sind sie nicht mehr zu retten: Der Verlust ist irreversibel und damit droht eine Einschränkung des Hörvermögens. Das Innenohr ist also ein ausgeklügeltes empfindliches System, das leicht beschädigt werden kann.

Menschen mit leichter bis hochgradiger Schwerhörigkeit verbessern das vorhandene Hörvermögen durch Verstärkung der Signale mit einem Hörgerät (siehe dazu auch den Beitrag Wie Technologie die Hörakustik revolutioniert). Menschen mit starker bis völliger Hörlosigkeit brauchen ein Cochlea-Implantat. Ob das Hörgerät oder das Cochlea-Implantat die beste Lösung ist, hängt von der Anzahl funktionsfähigen Haarsinneszellen ab.

Das Cochlea-Implantat

Gehörlose Menschen haben keine Haarsinneszellen mehr. Der Hörnerv bleibt jedoch fast immer erhalten. Das Cochlea-Implantat besteht aus einem am Kopf angebrachten Mikrofon und einem Sprachprozessor, der die digitalen Signale drahtlos an den in der Cochlea chirurgisch eingesetzte Elektrodenträger überträgt. Die Elektroden stimulieren den Hörnerv, der die elektrischen Signale an das Gehirn zur Interpretation in Sprache und Klang weiterleitet. Das Cochlea-Implantat erzeugt einen technischen Höreindruck, der es den Menschen ermöglicht, die Sprache zu verstehen und am sozialen Leben teilzunehmen.

Wenn für das Verstehen eines Gesprächs zu viele Ressourcen des Gehirns beansprucht werden, fehlen diese in anderen Bereichen des Gehirns. Daher empfehlen Spitäler heute auch bei 80-jährigen Patient:innen Cochlea-Implantate, weil diese eine gute Lösung sind. Der Eingriff ist unproblematisch, was die Invasivität betrifft, und verläuft nach einem standardisierten Prozedere.

«Heute ist die einzige Behandlungsmöglichkeit bei Innenohrverlust ein Hörgerät oder, im Extremfall, ein Cochlea-Implantat.»

Daniel Bodmer

Schädigung durch Medikamente

Noch viel zu wenig Beachtung findet die Tatsache, dass manche Medikamente die Haarsinneszellen der Cochlea und damit das Gehör schädigen. Die Wirkung kann vorübergehend oder sogar dauerhaft sein. Dazu gehören Aminoglykosid-Antibiotika, Krebsmedikamente, Diuretika, Salicylate und Antimalariamittel. Die Schätzungen über die Prävalenz von Medikamenten induziertem Hörverlust bei Patient:innen – diese unerwünschten Nebenwirkungen und Reaktionen werden Ototoxizität genannt – schwanken in der Literatur stark und liegen zwischen 2 bis 25 Prozent. Medikamente wie Cisplatin, die bei Krebsbehandlungen eingesetzt werden, können als Nebenwirkung die Haarsinneszellen schädigen und damit zu einem irreversiblen Hörverlust führen. Die Prävalenz für eine Schwerhörigkeit nach einer Cisplatin Gabe ist hoch, für Carboplatin deutlich niedriger. Die Einnahme von Aminoglykosid-Antibiotika führt zu dauerhaftem Gehörverlust. Besonders gefährlich sind Aminoglykoside für Personen mit einer bestimmten Mutation im mitochondrialen Genom. Schon eine geringe Dosis des Antibiotikums kann zu dauerhafter Taubheit führen.

Diagnostik und medikamentöse Therapie von Gehörschäden sind wegen dem beschwerlichen Zugang zur Cochlea äusserst aufwendig. Dies macht es komplizierter, die richtige Dosierung von Wirkstoffen systematisch zu erheben. Verschiedene Firmen versuchen zurzeit, Medikamente zum Schutz des Gehörs zu entwickeln. Auch Daniel Bodmer war an einem solchen Start-up beteiligt. Leider musste das Vorhaben aufgegeben werden, da der Wirkstoff zwar im Tier, nicht aber im Menschen eine Wirkung zeigte.

«Hörverlust ist nicht ausschliesslich eine Alterserscheinung. Wichtig ist, dass sich Menschen des eigenen Hörverlusts bewusstwerden und bereit sind, diesen frühzeitig behandeln zu lassen.»

Daniel Bodmer

Zum Stand der Dinge

Mit den Hörgeräten und den Cochlea-Implantat-Systemen stehen sowohl jungen wie auch alten Menschen zwei Technologien zur Verfügung, die ihre Lebensqualität entscheidend verbessern können. Diese Technologien verstärken Töne, aber greifen nicht an den ursächlichen molekularen Defekten an. Die Forschung zum Schutz der Haarsinneszellen mit Medikamenten ist schwierig, da Wirkstoffkonzentrationen in der Flüssigkeit der Cochlea wegen der Barriere oft zu niedrig sind, um eine Wirkung zu erzeugen. Es wird noch einiges an neuen Erkenntnissen brauchen, damit diese Anwendungen zu den bestehenden Technologien konkurrenzfähig werden. Daher gilt auch hier: Das Gehör zu schonen und vor Lärm bestmöglich zu schützen, ist die beste Prävention.

Autoren

Daniel Gygax und Eric Kübler