Auf der Konferenz in Athen hatte ich die Gelegenheit, eine zentrale Frage zu erörtern: «Kann künstliche Intelligenz den Geist unserer Zeit – oft als Zeitgeist bezeichnet – erfassen und Kultur schaffen?» Diese Frage ermöglicht über die Konvergenz von Kunst und Technologie, eine Beziehung, die weit über blosse Nachahmung hinausgeht, nachzudenken. Sie birgt ein aussergewöhnliches kulturelles und wirtschaftliches Potenzial, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient.
In ihrer aktuellen Form ist KI vor allem ein leistungsstarkes Analysewerkzeug. Plattformen wie Gemini, ChatGPT und kreative Tools wie DALL-E und Midjourney zeigen täglich, wie KI die Signale unserer Zeit aufnimmt und Muster aufdeckt, die sonst verborgen blieben. Die zentrale Frage lautet, ob KI wirklich innovativ sein und Kultur schaffen kann. Kann sie in gleicher Weise zur kulturellen Produktion beitragen wie ein menschliches Gegenüber?
KI sollte nicht als autonome Schöpferin, sondern als «kulturelle Agentin» verstanden werden, die den kreativen Prozess bereichert und transformiert. Sie fungiert als kooperative Partnerin, die neue künstlerische Horizonte eröffnet. Künstler:innen, die Midjourney oder DALL-E verwenden, erweitern mit KI die Grenzen ihrer Vorstellungskraft und erforschen neue Stile und Formen, die sie allein vielleicht nicht entwickelt hätten. Diese Zusammenarbeit öffnet Kunst einem breiteren Publikum und demokratisiert ihren Einfluss. Sie befähigt Künstler:innen, grössere Zielgruppen zu erreichen, Emotionen hervorzurufen und weltweit Dialoge anzustossen – und trägt damit zur Neudefinition kultureller und ästhetischer Standards bei.
Das Zusammenspiel von Kunst und Technologie zieht sich wie ein roter Faden durch die Kunstgeschichte – von den Werkstätten der italienischen Renaissance, in denen Maler:innen sowohl künstlerische als auch handwerkliche Techniken meisterten, bis zu den kybernetischen Kunstformen des 20. Jahrhunderts. Diese Synergie hat Kunst und Technik immer wieder inspiriert und über die Grenzen ihrer Zeit hinauswachsen lassen.
Ökonomisch gesehen birgt die Verbindung von Kunst und Technologie grosses Potenzial. Die von KI-Technologien getriebene Kreativindustrie eröffnet neue Wege für Investitionen, Arbeitsplätze und Märkte. Digitale Plattformen, die die Zusammenarbeit von Künstler:innen mit KI ermöglichen, verändern wirtschaftliche Modelle und schaffen einzigartige Bewertungskriterien für Werke, Konzepte und künstlerische Erlebnisse. Unternehmen, kulturelle Institutionen und Start-ups investieren zunehmend in die Integration von KI in kreative Prozesse und schaffen so eine hybride Wirtschaft, in der Technologie und menschliche Kreativität gemeinsam Wachstum fördern.
Diese Zusammenarbeit bereichert das Erlebnis der Nutzer:innen, bietet eine Vielzahl visueller und stilistischer Optionen und hinterfragt traditionelle Konzepte von Urheberschaft: Verdient die kreative Person, das Entwicklungsteam oder die KI selbst Anerkennung? Die Frage nach Zuschreibung und geistigem Eigentum eröffnet eine spannende Debatte über Eigentumsrechte in einer Zeit, in der Werke aus komplexen Interaktionen zwischen menschlicher Intention und maschineller Ausführung entstehen.
KI ist mehr als ein Werkzeug – sie eröffnet den Zugang zu einer Kultur, die eng mit den Themen unserer Zeit verbunden ist. Sie prägt die Beziehung zwischen Kunstschaffenden und Publikum und schafft neue wirtschaftliche und kulturelle Perspektiven. Durch die Verbindung von Kunst und Technologie entsteht eine Welt des kollektiven Schaffens, bereichert durch menschliche Intelligenz und verstärkt durch technologische Innovation. Dieses Bündnis lässt Kultur als Raum des Dialogs und der Entdeckung neu erblühen, in dem KI nicht als Bedrohung, sondern als kreative Begleiterin menschlicher Emotionen und Werte wirkt.
Benoît Dubuis